Wie im berühmten Eintrag nach dem Ausbruch des 1. Weltkriegs hätte in Kafkas Tagebuch kürzlich wohl Folgendes stehen können:
Trump ist US-Präsident – Nachmittag Schwimmschule
Viele Tage Empörung und Schock, wie sich in langen Analysen zeigt. Schon erstaunlich wie schnell alle glauben, sie hätten jetzt die Theorie gefunden.
Meine Enttäuschung zieht sich durch alle Reihen, durch Facebookfreunde, Zeitungen (wie die NZZ, die nur noch aus «Analysen» besteht) und Intellektuelle wie Naomi Klein, Taleb, Gumbricht: Sie alle wissen es jetzt plötzlich. Und sie posten es natürlich im Internet. Ich weiss nicht, ob das allein nicht schon die Bemühungen neutralisiert, zumindest ist es ironisch: das im Internet zu publizieren.
«Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.» (Marx) — «Es kommt wieder darauf an, die Welt zu interpretieren statt sie zu verändern.» (Zizek) — «Wir verändern die Welt ein bisschen (Sprechakt und so) und denken ein bisschen. In Internetessays, Longreads, Analysen und Whatnot.» (Das Internet)
Dass ich diesen Text schreibe, macht mich nicht besser, sondern verweist mich auf die bescheidene, ihm eingeschriebene Rolle in diesem kannibalistischen Diskurs. Aber ich fürchte mich nicht vor dem infiniten Regress.
Trumps-Wahl ist ein kaltes Aufwachen, aber auch ein nützlicher Schreck. Und nicht im Sinn von: «Jetzt wird in die Hände gespuckt, wir sind nicht mehr zynisch, wir müssen uns mehr um diese oder jene Menschen kümmern.» — Das wäre die (halbpatzige) neoliberale Haltung, die Clinton mit ihrer aufrechten Verliererrede verkörpert, und die vorerst nicht weiterführt: Der Neoliberalismus will, dass man über ihn hinausdenkt. Über ihn selbst.
Dieser nützliche Schreck ist anderer Art und ganz egoistisch: Denn seit gestern sehen wir einem goldenen Zeitalter entgegen.
Uns, ich meine alle Studenten, Millenials, echte Liberale (das ist das, was ich als Linke bezeichne), aber ich meine ganz besonders uns Literatur- und Geisteswissenschaftler: Uns steht das beste Zeitalter bevor.
Ich weiss nicht, warum Trump gewonnen hat. Es ist nicht einfach so passiert, gleichzeitig hat es sich auch nicht schon abgezeichnet. Es liegt nicht einfach an Hillary und es liegt nicht einfach an Trump. Es ist kein Denkzettel an die einen (was ist ein Denkzettel?), keine Warnung, Mahnung oder Bestrafung und kein Ventil (was ist ein Ventil?), keine Rache, kein Zeichen der anderen. Natürlich ist es das schon, aber das ist es nicht.
Man kann erahnen, dass auch die nächste Erklärung, die wir lesen werden, nicht die richtige sein wird, und iterativ: dass wir nie eine lesen werden oder sie in der Skepsis, die wir unterdessen pflegen werden, nicht als solche erkennen. Aber wir müssen sie lesen.
Es wäre zu einfach, Trump als widersprüchliches Phänomen zu begreifen oder als eine Pille, die man jetzt einfach schlucken müsse, um das Adrenalin in die Politik zu schütten, oder sogar zu denken: «ja, erst Abwarten, was passiert, Nachdenken bringt vorerst nichts» oder zu sagen: «So schlimm war das auch nicht», oder «Wir haben´s eigentlich schon gewusst», denn das ist eben auch nicht wahr und vorgestrig.
Die beste Zeit ist angebrochen, jene, in der wir alle zu Postrukturalisten werden müssen und in der wir uns im besten, verworrenen, hinterhältigsten, überschäumendsten und herausforderndsten Text befinden, den wir je gesehen haben.