Peter Plotz

„Peter Plotz“, sagte man, „das ist so einer, der nimmt das nicht so ernst. Der ist sich das gewohnt, dass wir ihn fertig machen. Schon sehr lange. Und das ist so einer, der hat genug Selbstbewusstsein um sich einen Dreck darum zu scheren.“

„Tatsächlich?“, fragte Manuel dann zurück, „Na gut, dann ist das ja okay. Ihr kennt ihn sicher besser als ich.“

Und dann ging es wieder los, dass sie sich über Peter Plotz ausliessen, sie lachten und äfften nach und lachten mehr, sie sagten hämische, verletzende Sachen und lästerten und Peter Plotz sass auf dem Fenstersims und sah durch sie alle hindurch.

Als Manuel nicht mitlachte, als ein Klassenclown sich über die Familie Plotz lustig gemacht hatte, sagte ihm ein Mitschüler: „Schau ihn dir doch an. Was denkst du? Sieht er dich? Dem ist das doch völlig egal.“ Er drehte sich zum Fenster um. „Peter!“ Peter schaute mit starren Augen zu ihm auf. „Dir macht  es doch nichts aus?“ Und Peter schüttelte apathisch den Kopf, während sich sein  Blick wieder in den Boden vergrub.

„Und ich meine“, fuhr der Mitschüler zu Manuel gewandt fort, „dieser Peter, das ist so ein Typ, der erst merkt, dass man über ihn lästert, wenn er im Fluss ertrunken ist.“

„Weißt du, Peter Plotz, das ist so ein Verliertyp, der kann gar nicht anders, als sich über sich selbst lustig zu machen.“

„Weißt du, Peter Plotz, das ist so einer, der wäre sogar selbst am liebsten nicht sich selbst.“

Manuel nickte nur und er fand das interessant, denn er hätte an Peters Stelle schon längst die Fassung verloren.

Peter Plotz war immer schon sehr seltsam. Eines Tages kam er plötzlich Hand in Hand mit einem Mädchen in die Schule. Zuerst war es einige Tage still um die beiden, denn niemand konnte es recht fassen. Dann ging alles sehr schnell.

„Dieses Mädchen“, sagte man plötzlich, „Das ist so eine, die muss einem schon leid tun, mit diesem Peter.“

„Ich würde mich umbringen.“

„Tatsächlich, dieses Mädchen, das ist so eine, die er erst merkt, dass sie mit einem Loser zusammen ist, wenn sie schon ein Kind von ihm bekommen hat und feststellt, dass es zu dumm ist, um das Sprechen zu erlernen.“

Vielleicht nahm das Peter Plotz nicht mehr so gut auf.

Jedenfalls traute sich das dann keiner mehr zu fragen, als er mit einem Raketenwerfer im C-Trakt stand und den Stundenplan studierte.

Es gab ein paar Tote ja, aber die Umstände wollten es, dass die ohnehin nächstes Wochenende beim Komasaufen im Zürichsee ertrunken wären.

Manuel und seine Klassenkameraden überlebten und wurden ins Zeugenschutzprogramm integriert.

„Das ist ganz einfach“, sagte der Mann mit Brille, dessen Augen man nie sah, weil dazwischen immer sein dicker oberer Brillenrand störte. Manuel nahm an, dass diese Angewohnheit zu einer solchen Art Beruf gehörte. Er fuchtelte schnell mit seinem Kugelschreiber über den Blättern herum. „Sie müssen nur hier und hier unterschreiben. Und hier..“ Der Mann mit Brille zog einen Zettel aus der Schublade, auf dem die Inhalte des Vertrages bedruckt waren und in einzelnen Absätzen die dazugehörigen Beilagen angeführt wurden. Er zeigte jeweils mit dem Kugelschreiber auf einen Titel, zum Beispiel „AGBs“ oder „Instruktionen“ oder „Vertragsbedingungen“ oder „Garantienachweis“, und zog zeitgleich mit der anderen das entsprechende Papier aus dem Aktenordner.

Nach zwanzig Sekunden lagen vierzig Seiten auf Manuels Tisch.

„Jetzt müssten sie nur noch hier unterschreiben.“

„Was ist das?“

„Das bestätigt nur, dass Sie im Zeugenschutzprogramm integriert sind.“

Manuel gab sich Mühe, seinen Namen schön hinzuschreiben. Kaum hatte er den Stift abgesetzt, legte der Mann mit Brille ein weiteres Blatt darüber.

„Hier, sehen Sie.“ Er zeigte auf einige Wörter, aus denen sich Manuel keinen Zusammenhang bilden konnte und wanderte dann bedeutungsvoll bis nach unten. „Dann müssten Sie hier noch ein Autogramm geben.“

Manuel unterschrieb. Kaum war er damit fertig, musste er schon ein weiteres Blatt ausfüllen und darauf folgte ein weiteres. Ein riesiges Chaos und Manuel hatte keinen Überblick mehr.

„Aber, wissen Sie, ich unterschreibe nicht gern einfach irgendwelche Verträge“, gestand er, „Hier steht zum Beispiel, dass ich mich nicht für einen Namen entscheiden könne. Ich verstehe nicht, wieso ich das unterschreiben sollte. Ich würde mir gerne einen Namen aussuchen.“

„Ach, nein.“ Der Mann mit Brille schüttelte nur genervt den Kopf.

„Was soll das heissen?“

„Nein, nein, das können Sie nicht. Sie müssen auch einige Sicherheitsstandards beachten.“ Als er fortfuhr klang er sehr genervt über die Naivität Manuels. „Sie können sich nicht einfach einen Namen aussuchen. Der wird zufällig generiert. Keiner weiss, wie der zustande kommt. Nicht einmal wir.“

„Ah. Okay.“

Als Manuel alles unterschrieben hatte, wurde er mit einem Truck in eine andere Stadt gefahren. In seinem neuen Wohnzimmer wartete schon seine Identität.

Leider musste er feststellen, dass er neuerdings einen neuen Namen hatte, der ihm nicht besonders gefiel. Peter Plotz stand auf seinem Pass. Und Kontaktdaten zum Zeugenschutzprogramm waren natürlich aus Sicherheitsgründen nicht vorhanden.

Trotzdem versuchte es Manuel mit der Telefonnummer, an die er sich noch vom letzten Mal erinnern konnte.

„Sie sagten, Sie seien im Zeugenschutzprogramm bereits integriert?“

„Ja“, antwortete Manuel.

„Wieso rufen Sie dann an?“

„Sie haben mir einen falschen Namen gegeben.“

„Was? Es gibt keine falschen oder richtigen Namen. Namen werden gegeben und viele Kinder hatten schon Pech, weil sie einen dummen Namen hatten.“

„Nein, Sie verstehen nicht…“ Manuel blieb hart. „Ich habe den Namen meines Verfolgers bekommen.“

Der Mann am Telefon lachte sehr lange. Er schniefte und schluckte vor Lachen, als er antwortete:

„Das wäre in der Tat etwas scheisse.“

Manuel lachte erleichtert auf. „Ja, das ist es.“

„Okay, wir helfen Ihnen, wir werden nun nur noch Ihre Identität überprüfen müssen. Könnte ja jeder dahergelaufene Peter Plotz behaupten, dass ihm sein Name nicht gefalle“, sagte er scherzhaft, „Alles was Sie nun eigentlich tun müssten, ist, mir Ihr Passwort zu verraten.“

„Mein Passwort?“

„Ja, den sogenannten Zeugenschutzprogrammschlüssel.“

„Ah, ich habe noch nie davon gehört.“

„Doch, doch, er stand auf dem grauen Zettel mit der Überschrift Instruktionen.“ Die Stimme des Mannes wurde plötzlich sehr kühl. „Sie haben, oder sagen wir besser, ein Manuel Zimmermann hat dieses Papier nämlich unterschrieben.“

„Oh“, sagte Manuel nur.

Der Mann hängte schnell auf. Allerdings nicht gut genug, denn der Hörer blieb noch so liegen, dass die Verbindung nicht getrennt worden war. Enttäuscht und ungläubig gleichzeitig, horchte Manuel ins Telefon.

„Da hat gerade so ein Typ angerufen, dem sein Name nicht gefällt“, sprach der Mann zu einem anderen.

„Ach ja, den kenne ich.“ Manuel konnte die Stimme dem Mann mit der Brille zuordnen, „Dieser Typ, das ist so einer, der würde nicht einmal den Namen seines Bruders annehmen.“

Der Gesprächspartner gluckste.

„Ja, wirklich, das ist so ein Typ, der begreift erst, dass er sein eigenes Todesurteil unterschrieben hat, wenn ihm die Verbliebenen keine Blumen schenken, weil ihnen die Lebensversicherung nichts eingebracht hat.“

Wieder lachte der Mann vom Telefon und er sagte: „Dann ist das wohl so ein Typ, der merkt auch erst, dass er keine Familie hat, wenn er den Hörer nicht aufgelegt hat und unser Gespräch belauscht.“

Sofort legte Manuel den Hörer auf. Er wurde sehr traurig und still und sein Blick wurde starr.

Als er abends in seinem neuen Bett einschlief, hörte er, wie er Worte vor sich hinmurmelte: „Peter Plotz, weißt du, das ist so einer, der wäre sogar selbst am liebsten nicht sich selbst.“

Eine Antwort zu „Peter Plotz”.

  1. Die Beiläufigkeit, mit der der Amoklauf erwähnt wird, ist echt todesgeil^^. Wie siehts denn aus mit dem Drama/ Theaterstück?

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