Die Schlucht

Einmal war ein Mann in der Schlucht.
Wenn er nach oben sah, betrachtete er die Wölbungen des alten Gesteins und wenn er mit seinem Blick daran hochklomm, erreichte er irgendwann das grosse, eintönige Blau, das zwischen den beiden Klippen wie ein dick gezogener Strich die Grenze zog.
Unten rauschte Fluss.

Einmal war eine Frau in der Schlucht.
Wenn sie nach unten sah, betrachtete sie die Windungen des kalten Gewässers und wenn sie ihm folgte, konnte sie das Toben der Ströme hören, deren Hallen von den Wänden schlug.
Oben zwitscherten Vögel.

Dann sah der Mann nach unten.
Entgegen seiner Erwartungen, sah er nichts, da sich seine Augen mit der plötzlichen Dunkelheit nicht messen konnten, die ihm nach dem Blick nach oben in den hellen Himmel die Augen zu versengen schien.
Oben zwitscherten Vögel.

Dann sah die Frau nach oben.
Entgegen ihrer Erwartung, sah sie nichts, geblendet vom Licht und von Sinnen getrübt, war sie blind, erstarrt mit dem Kopf im Nacken.
Unten rauschte Fluss.

Der Mann sah also die Frau nicht und die Frau sah also den Mann nicht, auch wenn sie sich gegenüber, an den beiden kalten Steinwänden, standen. Sie hörten sich nicht, sie sahen sich nicht und alles andere spielte keine Rolle.

Aber keine Sorge: der Altersunterschied der beiden wäre frappant gewesen und einer festen Beziehung hätten sie ohnehin nie standgehalten.

Eine Antwort zu „Die Schlucht”.

  1. Schöne Idee, sprachlich gut umgesetzt, auch wenn ich finde, dass gerade der vorletzte Absatz irgendwie was biblisches hat :).
    Der Plot ist klar so und blank genug geschildert, als dass man ihn so stehen lassen kann, das einzige, was mich irgendwie stört ist „Unten rauschte Fluss.“.
    Die Parallele zu „Oben zwitscherten Vögel“ wäre glaube ich auch noch bei „Unten rauschte ein/ der Fluss“ noch erkennbar.

    PS: Kommentar zum Amokläufer- Drama kommt bald, ist alles in Arbeit.

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