Geräusche

Ich sah den neuen Insassen an. Seine Füsse, die den Boden kaum streiften, vollführten rasante, kreisende Bewegungen, als dribbelte er. Unsere Blicke wichen einander aus und jagten rastlos über die Kacheln, bis sie, in einem Abstand, in dem der Hebel noch am Blickfeldrand sichtbar blieb, zur Ruhe kamen. Er wagte nicht, sich zu bewegen und lehnte sich lässig gegen die Wand. Mit den Fingernägeln kratzte er die Pritsche. Den Schluckauf hatte er, seit ich ihn kenne, aber er war zerdehnt worden und mit so langen Pausen, dass man ihn regelmässig vergass, und in einem solchen Ton, dass man geneigt war, “Entschuldigung” zu sagen. Ich erhob mich und näherte mich dem Hebel. Da riss er die Augen auf und sprang auf mich zu. Wir standen einige Sekunden nebeneinander und schielten auf den aus dem Boden ragenden Knüppel.
“Ich möchte.”
Ich trat, nach kurzem Zaudern, einen Schritt zur Seite. Er bückte sich, zog mit aller Kraft am Hebel, der sich seufzend lockerte und schliesslich dem Zug nachgab. Es knarrte und raschelte, Eisenketten klirrten und das Rattern wie von Zahnräder rumpelte unter den Füssen. Ein kleines Loch öffnete sich im Boden. Es war völlig finster darin. Ich rannte darauf zu, rief hinein, es hallte einen halben Meter tief und der Schall floh dann horizontal in ein Kanalsystem. Ich stieg mit dem Fuss hinein. Draussen gab es ein metallenes Geräusch, als eine schwere Tür zufiel. Die Augen des Insassen weiteten sich, wir starrten uns an. “Schnell, schnell”, flüsterte er, aber ich verharrte und lauschte, wie der Knüppel des Wärters gegen die Eisenstangen schlug und näher kam. Er stiess mich weg, sprang hinab. Es gab das Geräusch einer Landung, ansonsten war es sehr still. Dann erklang ein Flirren, das Knacken von Knochen, ein zerklüfteter Todesschrei: Nur ein Stöhnen blieb wie ein aufsteigendes Rauchwölkchen von ihm übrig. Ich zog die Beine aus dem sich schliessenden Loch, stand auf. Ich versteckte den Kugelschreiber, den ich ans Gitter geschlagen hatte, unter der Matratze und legte mich schlafen. Am nächsten Morgen wurde ich von einem Niesen geweckt. Ich öffnete die Augen einen Spalt, erblickte den Neuen auf der Pritsche und wälzte mich schmatzend auf die andere Seite. Aber ich war schon wach geworden.

Sags hier:

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Bloggen auf WordPress.com.

%d Bloggern gefällt das: