Der Senator Peter Hubendorf wanderte in langen gewichtigen Schritten, mit denen er nur mühsam, aber regelmässig das gesamte Arbeitszimmer durchschreiten konnte, hin und her und führte mit seiner immerzu kalten, an den äusseren Fingern zu knochigen Hand eine Zigarre zum rund gebogenen Mund. Er hatte bereits in seiner Jugendzeit, als er sich gegen seine Brüder zur Wehr setzen musste, eine möglichst einschüchternde Wirkung mit dem Blick erprobt, die seither nicht vergangen war. Seine Nase sprang ein wenig zu keck über einem reinlich gezwirbelten Schnurrbart hervor und entlockte im Gespräch seinem Gegenüber einen fragenden Blick, denn der Überzeugung, der Schnurrbart würde diese schwungvolle Nase bei jedem U und O kitzeln, konnte sich keiner erwehren. Über das Gesicht des Senators huschten abwechselnd Mienen des verdrüsslichen Ärgers und einer genüsslichen Geruhsamkeit, die die rhythmische Wiederholung des kontrollierten Marschierens hervorbrachte.
Noch immer war er im Zorn gegenüber seiner Gattin Anja, den er mit zitternden Augenbrauen zu unterdrücken suchte. Bei diesem Schauspiele verharrte die Oberlippe an ihrem Platz und entging einer Berührung mit der zackigen Nase nur knapp. Hatte er es ihr nicht gesagt… Nicht schon tausendmal gesagt?, schoss es ihm in bitterer Häme durch den Kopf. Er unterbrach sein ständiges Hasten nicht, aber verlangsamte für einige Sekunden, während er den kurzen Hals reckte, um aus dem doppelt verglasten Fenster in den grossen Garten zu blicken…
Anja lustwandelte durch den Weg von zartem Kies und sah versonnen in die Ferne. In ihren Augen spiegelte sich selbst aus der Ferne ein zarter Schimmer von heiliger, romantischer Entrückung, der sich dem Senator schon längst auf das Unmenschlichste verrätselt hatte… War es nicht jener Blick gewesen, der seine Liebe zu der schweigsamen Dame einst entfacht hatte? Doch, doch! Zu leugnen war es nicht… Klar, es war längst klar. In dem Masse, in dem ihm aufdunkelnd bewusst wurde, dass er sich mit seiner regen Tätigkeit und seiner wohlgemässigten Standfestigkeit als Kaufmann vom Verständnis dieses zweifelhaften, enthobenen Blicks unaufhaltsam entfernte, so überwältigend quälte ihn diese Erkenntnis aufs Unmenschlichste… Nun, zu leugnen war es nicht! Das sicher nicht! Doch den Ärger, den sie ihm bereitet hatte… Mit der neuen Wii-Konsole, die sie gekauft hatte, und zu aller Schande noch mit der zügellosen Unbotmässigkeit, in der sie ihm trotzig Rede und Antwort zu stehen erdreistete, wurden durch diesen Blick nicht gesühnt. Nein, liebe Anja, dachte der Senator, eine Wii-Konsole kommt nicht in dieses Haus, nicht in die Nähe, nie an diesen Ort! Das letzte Wort sprach der Senator, entgegen dem üblichen Verhalten seines Mundes, lautlos mit, und der Schnurrbart scheuerte so heftig an der Nasenspitze, dass er seine knochige Hand an die Nase führte, um ihr mit einer kalten Berührung wieder Beruhigung zu verschaffen…
Plötzlich geschah etwas Unerwartetes… Ungeheurliches, Unerfahrenes, ein Zerwürfnis im Verkehr des Tages. Ein Regen peitschte hervor und schlug im Garten nieder, wo sich die Regentropfen in einzeln gekerbte Scharten wühlten und den Dreck durchlöcherten. Die Senatorin, deren beiges Kleid sofort durch eine plastikartige Spannung die Nässe bezeugte, zog lediglich und ohne ersichtlichen Zweck die Hände über den Kopf und war im Begriff, sich eilenden Schrittes ins Haus zu begeben, als sie plötzlich, ihren klaren Blick in den Himmel emporhebend, inne hielt.
Verärgert wanderte der Senator weiter durch das Zimmer und sah seine Gattin halb inniger Liebe und halb deutlichen Ärgers mit müden Augen an, die sich auf eine weitere der Albernheiten vorzubereiten suchten, nach denen der liebenswerten, aber so eigenwilligen Senatorin ständig der Sinn stand. Hatte er es ihr nicht gesagt, dass sie ihre Kleider vernichte? Nicht schon tausendmal, schon tausendmal gesagt? Doch, doch!
Er hielt sich zurück, zum Fenster zu gehen und es zu öffnen, denn immer noch war der Ärger nicht aus seinem Kopf gejagt und dieser giftige, unnachgiebige Verdruss zog sich auf ein weiteres Mal wie eine Klammer um die durch die neusten Ereignisse gelockerten Gedanken zusammen. Laute Geräusche brachten die saubere Scheibe in Wallung, zitternd schwang sie in ihrem Bauch und brachte die kleinen Flöckchen, die das gespiegelte Sonnenlicht im Arbeitszimmer verteilte, zum Schneien. Die grossen Augen der Senatorin waren streng nach oben gerichtet, als ein kräfitges, grünes Licht auf ihr Kleid fiel und es kränklich einfärbte.
War es denn ein schwebendes Objekt, das sich über dem Garten mit tosendem Brausen erhob und seine Gattin zu zermalmen drohte? Klar! Wie konnte er ihren Blick sonst verstehen? Zu leugnen war es nicht! Der verängstigte Senator musste, mit vor Schrecken immer weiter aufgehenden Augen, ein ungeheuerliches Schauspiel verfolgen und seine Zigarre fiel dabei zu Boden, wo sie kurz aufleuchtete und noch kurz neckisch zwinkerte als wollte sie sagen: Da habt ihr Glück gehabt, dass ich euch nicht das Haus verbrenne… Die Senatorin wurde, in unbeschreiblicher Weise, in die Luft gehoben und war dabei so vollkommen ruhig und regungslos, dass man zweimal hinsehen musste, um eine Auffälligkeit zu bemerken. Doch langsam schleichend, mit böser Gemächlichkeit wurde die Senatorin in die Luft gesogen, während sie schwerelos und unberührt, noch oben steif gegen den Himmel gerichtet, zum Licht aufblickte, dessen Einfall grün in ihren Augen spielte. Es war längst klar, dachte der Senator und in seine Hände schien noch mehr Kälte zu fliessen, seit die Zigarre zu Boden gefallen war und sein Arm mit leichter Trennung vom Körper schlaff von der Schulter hing… Eine Entführung! Doch, doch… Zu leugnen war es nicht!
Und noch bevor der Herr des Hauses zu einem entrüsteten Aufschrei die Kraft gefunden hatte und noch bevor das Gesinde den Aufstieg der Herrin betrachten konnte und bevor der schnelle und plötzliche Regen gänzlich versiegt war, verschwand der schwarze, in zarte Bänder gefasste Schuh vollständig im unbeschreiblichen Flugobjekt. Der Senator atmete tief ein und mit bebenden Augenbrauen nahm er seine frühere Hast wieder auf und in völliger, tauber Ohnmacht schritt er von der einen Seite seines Zimmers auf die andere, während er ein nachdenkliches Mienenspiel vollführte, bei dem Ausdrücke von Wut und Beruhigung beständig aufeinander folgten. Dies war so seine Gewohnheit.
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