Schlechte Argumente gegen die 1:12-Initiative

Heute wurde die 1:12-Initiative im Nationalrat behandelt und abgelehnt. Die Diskussion dauerte mehrere Stunden und 36 angemeldete Redner und Rednerinnen kamen zu Wort.
Offenbar ist die Initiative mit einem fulminanten Start aufs Parkett getreten. Damit aber auch der Shitstorm.
Obwohl ich keineswegs mit allen staatlichen Beschränkungen sympathisiere, halte ich diese Initiative für das bisher spektakulärste Mittel, die Wirtschaft zu verbessern. Es ist ein Mechanismus, der sich von anderen Regulierungen wesentlich und bemerkenswert unterscheidet.

Um den Shitstorm ein wenig zu säubern, habe ich einige schlechte Argumente der Gegner aufgelistet und bin gerne bereit, danach besonnen und kritisch weiter zu argumentieren. Ich bin nicht auf meine Meinung eingeschossen, sondern interessiere mich für die besten Argumente.

  • 1:12 schadet der Wirtschaft. Mitnichten, eine grössere Verteilung nach unten führt zu einem höheren BIP. Das ist einfach zu erklären und bedarf hier keiner grossen Aufmerksamkeit: Weniger Verdienende haben eine tiefere Sparquote, konsumieren mehr und das Geld fliesst direkt in private Investitionen.
    Eine besser verdienende Unterschicht steigert die Produktivät ausserdem auf weiteren Wegen. Sie wird akkumuliertes Geld eher investieren, sie kann Schulden besser begleichen, die höhere Fluktuation ermöglicht einen flexibleren Arbeitsmarkt, das Bildungsniveau steigt und sie bezahlt mehr Mehrwertsteuern.
  • 1:12 schadet auch kleinen Familienbetriebe. Das ist das typische FDP-Argument, ein mit halbherzigem Wirtschaftssinn ummantelter Patriotismus. Die Initiative beschränkt die Leitung „kleiner Familienunternehmen“ auf einen Minimallohn von 576’000 Franken, ganz anständig, wenn man dabei bedenkt, dass die Vermögenswerte des Unternehmens noch nicht inbegriffen sind und die Angestellten dieser Firma lächerlich unterbezahlt sind. – Ganz davon abgesehen gibt es wohl keine KMU, die die Lohnspanne 1:12 nicht bereits einhalten! Der JUSO-Politiker Marco Kistler wartet noch immer auf jemanden, der ihm ein betroffenes KMU nennen kann.
  • 1:12 verhindert zwar Lohnexzesse. Das erledigen aber andere Vorstösse besser. Erstaunlicherweise finden das ja alle super. Linke wie Rechte sind ausnahmlos gegen Lohnexzesse. Die Initiative geht jedoch nicht darum, Lohnexzesse zu unterbinden. Es geht überhaupt nicht darum, dass jemand nicht Kapital akkumulieren dürfe. Ich sage: Lohnexzesse sind grossartig! Sie gehören zu unserem Narrativ des wirtschaftlich freien Menschen. Die Initiative ist deshalb auch keine absolute Beschränkung, sondern eine relative (das überfordert leider Linke und Rechte gleichermassen).
    Das bedeutet, Menschen, die ein gutes Unternehmen leiten, sollen ein hohes Salär verdienen. Ein gutes Unternehmen sollte sich aber nicht nur nach dem Umsatz, den Aktiva oder dem Aktienkurs berechnen (es ist eine unstreitbare Tatsache, dass es ein gültiges Bewertungskriterium für ein „erfolgreiches Unternehmen“ nicht gibt), ein Unternehmen hat erst nachhaltigen, überzeugenden Erfolg, wenn es fähig ist, seine Mitarbeiter besser zu bezahlen als die Konkurrenz.
    Wessen Firma so weit ist, darf sich problemlos einen höheren Lohn auszahlen lassen. Und diese Verteilung ist nicht etwa unlukrativ: Man braucht den Lohn des tiefen Personals lediglich um einen Franken zu erhöhen, um dem Bestverdienendsten zwölf Franken mehr bezahlen zu können.
    1:12 ist also nicht das beste Mittel gegen Lohnexzesse. Das liegt daran, dass sie diese
    überhaupt nicht tangiert! Kapitalakkumulation ist eine gute Sache. Die Initiative sorgt nur dafür, dass die Akkumulation in gute Hände gelangt.
  • Regulierungen sind überhaupt schlecht für die Wirtschaft. Das hat noch nie jemand ausser Politikern behauptet. Die Wirtschaftswissenschafter sagen seit Jahrzehnten das Gegenteil und doch hört niemand zu. Überhaupt ist es bedauernswert, dass gerade im Laienbereich der Wirtschaft eine scheinheilige „Weitsichtigkeit“ besteht – jeder denkt einen Schritt weiter, aber bleibt dort stehen. Daraus resultiert nämlich das nächste Argument.
  • 1:12 vertreibt reiche Unternehmen, Steuereinnahmen verschwinden. Es wird Zeit zu akzeptieren, dass das kein so schlaues Argument ist, wie man immer geglaubt hat. Es ist gerade nicht „Weitsicht“ zu denken: Verzichten wir auf härtere Auflagen, denn dann werden wir später mehr Steuern einnehmen. Das hat nichts mit Nachhaltigkeit oder Sicherheit zu tun. Erstens sind Steuern nicht das Geld der Bevölkerung – Steuern sind Investitionen, die genau dazu da sind, Auflagen zu machen, nicht etwa mehr Steuern zu generieren (der Staat ist keine Firma im herkömmlichen Sinn). Zweitens wandern keine grossen Unternehmen ab, wenn sie nicht ohnehin von den Standortfaktoren einer Alternative überzeugt sind – noch nie gab es einen Unternehmensexodus, weil Regulierungen geschaffen wurden. Wenn man es so bedenkt…: Es wird endlich einmal Zeit, das Szenario auszuprobieren. Bis jetzt hat es noch nie dergleichen Erfahrungen gegeben und es wird sich mit Sicherheit herausstellen, dass das Argument völlig übertrieben ist. Mit Sicherheit.
  • 1:12 zerstört Arbeitsplätze. Ääääähm, nein? 1:12 vernichtet keine Unternehmen (welches Unternehmen würde sich lieber auflösen als einen ausgleichenden Massstab anzusetzen?) und natürlich keine Arbeitsplätze. Die allermeisten anständigen Unternehmen, wie auch etwa der Schweizer Staat, erfüllen dieses Kriterium übrigens schon längst und haben trotzdem saubere Klos.
  • 1:12 betrifft nur wenige Unternehmen. Das ist richtig, aber es ist ein grosses Zeichen für die Wirtschaft – der erste Mechanismus, der nichts zerstört, weder Überschüsse noch Mängel generiert. Und – unter uns – ist das wirklich ein Argument dagegen?
  • 1:12 kann nicht sachlich behandelt werden. Neid und Eifersucht dominieren den Gedanken dahinter. Gegen Emotionen zu argumentieren (und das sag ich auch der Linken, die immer die Verängstigungen von rechter Seite kritisiert), ist nie der richtige Weg. Aber die 1:12-Initiative ist garantiert keine Frage des Neides. Es geht nicht darum, jemandem zu schaden: Die Initiative fördert lediglich jene, die zu unterst für erfolgreiche Firmen arbeiten und dafür nicht entschädigt werden. Was ist daran eigentlich neidisch?
  • 1:12 bestraft Menschen, die wirklich mehr als 12 mal mehr verdient hätten als andere. Interessantes Argument, das kann tatsächlich zutreffen. Ich kram dazu mal Hamlet hervor:

Polonius: My lord, I will use them according to their desert [Verdienst].
Hamlet: God’s bodkin, man, much better. Use every man after his desert, and who shall scape whipping?

  • 1:12 bringt nichts. Die Firmen werden sich aufteilen, um den Auflagen zu entgehen. Die Initiative verlangt die Ausarbeitung von Experten im Parlament, um dieses Problem zu lösen. Es liegt nicht im Rahmen der Möglichkeiten, alle diese Lösungsvorschläge differenziert im ganzen Volk zu behandeln. Das bringt auch den Vorteil, dass flexibel auf listige Unternehmen reagiert werden kann.
  • 1:12 bringt nichts. Reiche Mitarbeiter können sich auch anders als mit Geld bezahlen lassen. Die Initiative schliesst auch andere materiellen Vergütungen ein, damit diese nicht umgangen werden können.

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