Fritz Jäger hat diese Geschichte zerstört.
Dabei hatte alles so vielversprechend ausgesehen. Er hätte so scheu auftreten können, wie es seine Art ist. Ich hätte nicht viel von ihm preisgeben müssen. Ich hätte sogar ein höchst gnädiges Bild gezeichnet, die grossen Hände gelobt, die erhobene Statur, das gutmütige Lächeln, das ihm manchmal über das Geschicht huscht. Seine Warze auf der Nase und den zu kleinen, giftgrünen Pullover hätte ich hingegen verschweigen können, das hätte mir überhaupt nichts ausgemacht, denn für den Verlauf der Geschichte spielt es eigentlich keine Rolle. Wenn er sich an den Plan gehalten hätte, wäre Fritz heute morgen aus dem Haus gegangen und seiner grossen Liebe begegnet. Er hätte ihr, aus Schüchternheit, im Supermarkt nichts sagen können und unter grössten Entscheidungskrämpfen wäre er ihr durch die Stadt nachgefolgt. Das rothaarige Mädchen wäre ihm in der Menge entwischt — das wäre nicht schwer gewesen, ich hätte eine Menschentraube aufziehen lassen und die Rothaarige einen Kopf kleiner gemacht als die anderen — und er hätte die Suche aufgeben müssen. Er hätte nach Hause zurückkehren und trübsinnig, die Stirn gegen die kalte Scheibe gepresst, über sie nachdenken können, was indes wirklich nichts Unangenehmes ist, denn die Rothaarige war ausgesprochen schön und wohlgestaltet, ausserdem sehr witzig. Er würde sie schliesslich sogar kriegen — per Zufall würde er sie unterwegs am Stadtrand getroffen, sie unter Aufwendung seines ganzen Mutes angesprochen und schliesslich zu einem Wiedersehen eingeladen haben. Es ist natürlich ärgerlich, dass die Rothaarige nicht wie vereinbart auftaucht, aber das Wetter ist gut und lindert das Elend, das über Fritz Jäger hereinbricht, wenn auch nicht erheblich.
Zum Wohl der Geschichte würde Fritz sich immer mehr in Frage stellen und ein Leben in Zurückgezogenheit führen, bis er, eines Tages, in der Bibliothek auf die Schwester der Rothaarigen stösst. Von ihr erfährt er alles über seine grosse Liebe, was ihm schon geschwant hatte. Sie hatte einen Immobilienmakler geheiratet, der zu allem hin sympathisch und grossmütig war. Bei dem ausführlichen Gespräch, das die Bibliothekarin auf wundersame Weise (das heisst, ich persönlich hätte dafür gesorgt, und dies obwohl ich mir sicher bin, dass mein Lektor Einwände gemacht hätte, also unter gewaltiger Entbehrung) nicht unterband, hätte Fritz einen neuen Blick auf die Schwester gewonnen und an ihr Ungeahntes erkannt. Wenngleich sie hässlicher wäre als ihre Schwester, eine gänzlich verschobene Nase besässe, Mundgeruch und Keuchhusten hätte, würde sich Fritz mit jeder Minute des Gesprächs mehr in sie verlieben und er würde die Gemeinsamkeiten entdecken, die er an seiner grossen Liebe vermisst hatte. Es hätte ein grossartiges Happy End gemacht, wer weiss, eine Heirat gar, und Fritz hätte sich mit seiner etwas schrulligen, aber liebenswürdigen, etwas unansehlichen, aber doch auf ihre Art anziehenden Frau ein schönes Leben einrichten können.
Nein, all das war dem unbescheidenen Fritz nicht recht. Gleich schon zu Beginn hat er sich selbstständig gemacht — ich hätte es merken können, als er den blauen Pullover anzog — und hat die Schüchternheit, die ich ihm eingetrichtert hatte, flugs überwunden. Er hat die Rothaarige, trotz meines Versuchs, den Verkehr zu verdichten, rechtzeitig eingeholt, sie angesprochen, sie mit seiner scherzhaften und gewinnenden Art, die in selbstironischen Phasen auf Kosten seiner Warze witzelte, um den Finger gewickelt. Von da an lief alles aus dem Ruder. Die Geschichte war geradezu zerstümmelt. Mit ihr verbringt er bis heute und wie es aussieht, noch lange, ein wunderbar langweiliges Leben. Aber als sich Fritz Jäger für diesen Weg entschieden hat, schön für ihn!, hat er da ein einziges, kurzes Mal an mich gedacht?
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