Unsere Arbeiten kamen nur schleppend voran, denn der beissende Wind, der in diesen Höhen wehte, liess unsere Tische, an denen wir assen und arbeiteten, nicht unbetastet.
Vor 9:15 Uhr versteckte sich die Sonne hinter der stummen Verheissung der Berggipfel und wir beschränkten uns widerwillig darauf, das Frühstück zu bereiten, das mit dem Spiegelei unsere Proteinvorräte auflud und mit dem Vollkornbrot uns unverzichtbare Ballaststoffe zuführte. Plötzlich wurde unser Mahl von einer bedrückenden Erschütterung heimgesucht, die sich in grausamen, gedehnten, kurz nacheinander ausgestossenen Lauten von hohem Tonumfang manifestierte. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, um sich der brutalen, salvenartig piepsenden Geräusche gewahr zu werden, denn sofort verschwanden sie wieder im Tosen des unnachgiebigen Windes. Weder ich noch Anja trauten sich, dieses Geräusch anzusprechen, denn wir zogen es vor, es als eine Täuschung des Windes abzutun, der in diesen Höhen unser Haus ständig umgab. Dennoch glaube ich, dass Anja wie ich die starke Vermutung hegte, es habe in diesem Geräusch etwas Altes, Verwunschenes, sogar Künstliches und zugleich Organisches gelegen, das sich aber nicht leicht in Worte fassen liess.
Bis 14:00 Uhr untersuchten wir die Fundgegenstände, die wir bei den Ausgrabungen unserer ersten Expedition gesammelt hatten. Zumeist waren die Fossilienfunde einer vorpleistozänen Epoche zuzuordnen, obwohl sich die Funde als schwierig zu kategorisieren herausstellten. Bei den Xiphodoten, den Paläotherien und zum Teil auch den Titanotherien liess sich das Alter unschwer an den spezifischen Granitadern, die sich konvulsiv ineinander geschoben hatten, feststellen, auch wenn bei letzterem Kandidaten, die Erscheinung dieser Granitadern eine Reihe von Fragen aufwies: Wieso schien es, als seien sie mit Kohle durchsetzt? Und wieso waren diese Granitadern so unbeschreiblich regelmässig in die Steinprobe eingekerbt, als wäre sie der Prototyp der geometrischen parallelen Linien? Vor allem die Versteinerungen der Oreodonten, die an den Enden seltsame rüsselförmige Verjüngungen aufwiesen, liessen uns stutzen und bewegten meine Frau zu der folgenschweren Behauptung, es müsse sich um Fossilien aus dem Oligozän handeln. Etwa um 16:30 Uhr zogen wir uns rasch zurück ins Haus, um uns die Nachrichten anzusehen und die Temperatur des Körperhaushalts wieder anzuheben. Um 17:00 Uhr beschlossen wir wieder eine Höhlenwanderung zu machen, wobei wir uns mit Seilen, Karabinerhaken, Notizbüchern, Fotokameras, ein wenig Proviant, GPS-Gerät und Taschenlampen mit Zusatzbatterien zusätzlich ausstatteten. Bereits bevor wir ganz in der Höhle ankamen, wurden wir Zeuge jenes Grauens, das in den dunklen Tiefen dieser Bergnächte gierend über die Felsen streifte.
Wäre es nicht zu dem obengenannten Zweck, die Immobilienbaufirma vom misslichen Vorhaben abzubringen, wieder ein Familienhaus in den hohen Alpen zu bauen, so würde ich die folgenden Grässlichkeiten zu meiner eigenen Schonung verschweigen, denn sie plagen mich auch so genug, je stärker ich sie verdränge, denn die Erlebnisse jenes Tages plagen und martern mein Gewissen und meine Fassungskraft unsäglich. Ich erzähle diese Geschichte also zur Abschreckung und muss deshalb davon absehen, weitere Warnungen vorzubringen, ohne sie erzählt zu haben.
Ein Klang von erstaunlichem Tonumfang und seltsamer Rhythmik — es war einem »Tekeli-li« nicht unähnlich — drang mit einem Mal hinter einem Schneehügel hervor, als wir die Höhle betreten wollten. Anja und ich rückten näher zusammen, um einen möglichen Feind besser abwehren zu können. Wenn wir nur damals die blasphemischen, zyklopischen Gräuel gekannt hätten, die jene jämmerlichen, grauenbewehrten Monster uns anzutun fähig waren, dann hätte ich in diesem Moment Anjas Hand ergriffen und wäre mit ihr zu unserem Haus zurückgeflohen. Doch es war der übermässig wissenschaftlichen Neugierde geschuldet, dass wir stehenblieben und die dunstigen Kegel unserer kleinen Lampen in die Dämmerung stiessen. Wieder erklang das Geräusch und diesmal war ganz deutlich zu erkennen, dass es sich genähert hatte, denn die Lautstärke und der Tonumfang stachen aus der Stille genauer hervor. Ich versuchte, mich heftig umdrehend, Anjas Hand zu fassen. Doch ich griff daneben ins Leere und tastete fahrig hinter mir herum. Als ich auch keinen Zipfel ihrer Jacke erhaschte, fuhr ich herum und die Furcht packte mich wieder. Anja war verschwunden und ich konnte, da der flockenstiebende Schnee durch eine Bise einen impulsiven Auftrieb erfuhr, sie nicht in der Umgebung erkennen. Ich wollte ihren Namen rufen, doch zugleich horchte ich wie ein Verrückter auf diese Stimme, von der ich wusste, dass sie etwas Unmenschliches und Ungehörtes darstellte, ob sie ein weiteres Mal dräuend rufen würde. Ausgerechnet in diesen Momenten, wo Beistand und Zutrauen eine unabdingbare Hoffnung hätten darstellen können, erinnerte ich mich an jenes verzauberte, schauderhafte Buch, das ich in der Bibliothek eines Freundes einst gelesen hatte. Die Beschreibungen des verrückten Arabers schienen mir nun abscheuliche, blasphemische Verheissungen zu sein, das Necronomicon von jenem, kranken Abdul Alhazred war mir plötzlich zu einer Weisssagung geworden, denn der Ekel dieser Geschichten und das Ungeheuerliche, das mich verfolgte, schien auf einen gemeinsamen, weit zurückliegenden Ursprung zurückzuführen zu sein. Ich erklomm, halb aus Angst in der Schneemulde vor der Höhle ausgeliefert zu bleiben, halb aus heftiger Sorge um meine Frau, den ersten Schneekamm in der Nähe, als meine Knie vor Schreck einsackten und ich mich nur mit Mühe erhalten konnte. Ein riesiges Wesen, einem grossen Bulldozer gleich, ein vielgestaltiges Geschöpf, bewehrt mit Schaumsäulen von leblosen Augen, unaufhörlich formlos wachsend, sich in alle Richtungen breitend, knirschend über den Schnee sich drückend, ein riesiger Bulldozer, der auch auf uns zuzufahren drohte, machte sich direkt über Anja her, die vor Abscheu angeekelt stehen geblieben war. Diese Walze eines Ungeheuers schien nun über die junge Frau hinwegzurollen, es umfasste sie in seiner ganzen unförmigen Gesamtheit, packte sie — und hob sie in die Höhe. Das formlose, zyklopische Wesen verschwand mit einem zischenden Geräusch oben im nebligen Himmel und mit ihm Anja. Diese blasphemische Kreatur aus ältester Zeit, hatte sie damals entführt, und ich wusste und weiss bis heute nicht, ob sie noch lebt und welche grässlichen Experimente sie mit ihr anzustellen gedachten, weshalb sich die Zustände meiner darauffolgenden Wochen, mit ihren Ausprägungen von Hilflosigkeit und Schuldbewusstsein, schwerem Schüttelfrost und paranoider Sorge unschwer auszumalen sein dürften.
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