Das kartesische Kind

Als ich sagte, dass ich Hunger habe, sagte meine Mutter: »Du hast keinen Hunger.«
Nun ist es doch so, dass ich noch ein kleines Kind bin und mich in derlei Dingen früher auch getäuscht habe und wahrscheinlich immer noch getäuscht werde. So hasse ich Mädchen und Mama sagt, eigentlich sei das Gegenteil der Fall, es werde sich schon noch zeigen. Auch habe ich einmal gemeint, ich müsste pinkeln und habe das ganze Auto zum Anhalten bewegt und als ich auf dem Klo der Raststätte sass, musste ich nicht mehr.
Dann ist es doch wiederum richtig, dass man sich gewisser Eigenheiten des Hungers nicht entledigen kann. Das eine Mal betrifft es das Vorkommen oder die Dringlichkeit des Hungers, die nie für immer wegbleibt, auch wenn ich beim Gamen ganze acht Stunden verbringen kann, ohne mehr als eine handvoll Chips. Das andere Mal betrifft es die Qualität des Hungers, die sich unterscheiden lässt.
Klar, Hunger auf Schokolade und Hunger, nachdem man sich auf dem Dachboden versteckt hat, sind zwei verschiedene Dinge und niemand brächte es fertig, die Lust, eine Schokolade zu verspeisen, mit der Lust, zwei Krümmel aufgeweichten Brotes zu verzehren, miteinander gleichzustellen. Nicht einmal Stiefvater Peter könnte es fertig bringen. Und doch liesse sich einbilden, dass mich Peter hierüber täuschen lässt und es nur verschleiert, indem er, während Schokolade ein scheussliches, widerwärtiges Produkt darstellt, jenes Gute des Brotes extrahiert hat und es in diese Schokolade gespritzt hat, um mich hierüber in Unklarheit zu belassen. Nehmen wir also an, es könnte das, was ich Hunger nenne, durch Peter gemacht und verändert worden sein, ohne dass ich es wüsste. Ich hätte nichts mehr, dessen ich mir im Hinblick auf mein eigenes Verlangen sicher sein kann.
Doch ich sehe, dass das Verspüren des Hungers grösser ist als die Qualität oder Quantität des Hungerns – es ist der Zustand des Verspürens von etwas, das fehlt, den ich unleugbar in mir trage, und es ist unbestreitbar, dass, sooft ich den Satz „Ich habe Hunger, ich habe Hunger“ für mich ausspreche, ich unweigerlich auch Hunger haben müsse.

»Doch, Mama«, sagte ich. »Ich habe echten Kohldampf.«

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