Die Postmoderne — wenn es so etwas überhaupt gibt — schreibt man gerne den Geisteswissenschaften zu. Die Literaturtheoretiker mit ihrer Dekonstruktion oder dem New Historicism, die die Auflösung der authentischen Geschichte in Bruchstücke von bereits Geschriebenem erkannten. Oder die Philosophen, die aus diesem Zerbrechen jeder Authentizität, jeder ersten Natur, jeder Struktur — wie auch immer man es nennen mag — eine pluralistische Welt, mit verschiedenen Wahrheiten und Falschheiten, mit verschiedenen Wirklichkeiten bastelten.
Neuerdings stellt sich aber heraus, dass die Geisteswissenschaftler eigentlich hängen geblieben sind. Ihre Wissenschaft ist immer noch darum bemüht, Diskurse und Paradigmenwechsel zu entdecken, während andere Studiengänge offenbar die Postmoderne nicht mehr analysieren — sondern sie ausleben: Die Mediziner und Medizinhistoriker. Christoph Mörgerli gerät in Kritik, seine Doktoranden fremdsprachige Dissertationen vorgesetzt zu haben, die sie nur zu übersetzen brauchten.
Mit ihrer Transkription, die offenbar bei medizinischen Dissertationen Gang und Gäbe ist (wie der Tages-Anzeiger schreibt), beweisen sie erst, was Forschung eigentlich ist. Sie ist beileibe kein Fortschritt im eigentlichen Sinn, sondern das ewige Durchwälzen der immer gleichen Erkenntnisse. Es wäre nicht unvorstellbar, dass Christoph Mörgeli aus seiner ominösen »Schublade« einem Doktoranden einmal einen italienischen Text zur Übersetzung vorlegt, die selbst eigentlich nur eine Transkription aus der deutschen Sprache ist. Also etwa das, was passiert, wenn man mit Google Translator Texte hin- und herübersetzt. Texte werden nur noch übersetzt. Aber nicht im Versuch, etwas zu verstehen, weil Texte ohnehin nicht verstanden werden können, sondern nur um mit ihnen irgendwie umzugehen. Man kann Texte ja nicht lesen, weil sie gar nicht gelesen oder verstanden werden wollen. Auch medizinische Texte wollen nicht verstanden werden. Auch Dissertationen. Und zeigen die rapide auftauchenden Fälle von Plagiate nicht, dass wir längst an diesem Punkt angekommen sind, dass wir es nur noch nicht akzeptiert haben? Sloterdjik könnte es verstanden haben.
Die Mediziner zeigen damit ganz konkret, was ein Nicht-Akademiker von allen Wissenschaftlern längst vermutet: Dass jene nur Texte über Texte schreiben und sich nur Gedanken über Gedanken machen. Damit haben sie nämlich völlig recht, nur vergessen das viele Akademiker. Es ist allerdings, das wissen hingegen die wenigstens, nichts Schlechtes. Es ist eben die Postmoderne. Und die Mediziner führen die Postmoderne sozusagen bei ihrer Doktorarbeit performativ aus. Das ist viel angemessener, als so zu tun, als könne man von oben herab auf die Postmoderne blicken, als würde man trotzdem heute noch »Erkenntnisse« finden können, obwohl wir längst eines besseren belehrt werden.
Wir alle müssen von Christoph Mörgeli lernen. Und in 50 Jahren werden wir in den Literaturseminaren die Weltliteratur nur noch nach dem Hin- und Herübersetzen aus Google Translator interpretieren. Wie? Aber natürlich freue ich mich darauf!
Sags hier: